Mittelland
Kanton Bern

Zahl der Betroffenen nimmt zu: Wie «Long Covid» weiterhin Menschen in der Schweiz beeinflusst

Folgen der Pandemie

Anzahl Betroffener steigt – so verbreitet ist «Long Covid» in der Schweiz

26.09.2024, 07:52 Uhr
· Online seit 26.09.2024, 06:25 Uhr
Über viereinhalb Jahre ist es her, seit dem ersten bestätigten Corona-Fall in der Schweiz. Die Zeiten von «bitte bleiben Sie zu Hause», Maskenpflicht und Abstand halten, bleiben in der Vergangenheit. Und doch hinterlässt das Virus immer noch Folgen.
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Der Begriff «Long Covid» tauchte zunächst in den sozialen Medien auf von Personen, die nach einer Corona-Infektion über längere Zeit an gesundheitlichen Einschränkungen litten. Im Mai 2020 wurde erstmals der Hashtag «#longcovid» in einem Tweet verwendet. Daraufhin wurde der Begriff «Post-acute sequelae of SARS-CoV-2 infection» (PASC) im Februar 2021 eingeführt. Im umgangssprachlichen Gebrauch, unter Betroffenen sowie Behandelnden, hat sich «Long Covid» aber durchgesetzt.

«Das Bedürfnis ist gross»

Im Selbsthilfezentrum Thun wurde im Mai eine Selbsthilfegruppe für «Long Covid»-Patientinnen und -Patienten gegründet. Die Anfrage kam vom Spital. Betroffene haben sich in der Physiotherapie dazu geäussert, dass das Bedürfnis, sich zu vernetzen, vorhanden sei. Innerhalb von vier Wochen haben sich 16 Personen gemeldet und es wurden zwei Gruppen von jeweils acht Personen gebildet. Alle leiden seit zwei bis vier Jahren an «Long Covid» und sind stark betroffen. Teils waren die Betroffenen ein bis zwei Jahre zu Hause und konnten weder einkaufen gehen, die Wohnung verlassen noch vom Bett aufstehen.

«Das Bedürfnis ist gross», sagt Gabriela Kühni, Beraterin im Selbsthilfezentrum Thun. Sie führen Wartelisten. Jederzeit kann man zu einer Gruppe dazustossen oder auch eine neue bilden. Die Treffen finden vor Ort im Selbsthilfezentrum Thun statt. Die Frage, ob genug Energie da ist, um das Haus zu verlassen, stellen sich die Betroffenen täglich. Es ist unterschiedlich, wie lange die Patientinnen und Patienten bleiben. Das kann von 30 Minuten bis eineinhalb Stunden variieren. Je nachdem, wie die Energie an diesem Tag reicht.

«Ich habe noch nie eine so lange Themenliste gesehen, wie bei der ‹Post Covid›-Gruppe», sagt Kühni. Vor allem finanzielle Fragen und berufliche Integration beschäftigen die Patientinnen und Patienten. Aber auch der Austausch über Studien, Medikamente und Ärzte findet statt.

Gerade auch das soziale Leben wird durch die Krankheit beeinträchtigt. Betroffene vereinsamen in dieser Zeit. Die Kontakte, die man zu Beginn hatte und unterstützte, lösen sich mit der Zeit auf. Auch Partnerschaften leiden darunter. Ebenso die Beziehung zu den Kindern. Teils könnten die Patientinnen und Patienten 30 Minuten mit den Kindern spielen und dann reicht die Energie wieder nicht mehr.

«Long Covid» ist nicht gleich «Long Covid»

In der Schweiz werden keine statistischen Daten zu «Long Covid» erhoben. Die Patientenorganisation «Long Covid Schweiz» geht davon aus, dass zwischen 3,3 und 5 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. In der Schweiz wären das circa 450'000 Personen.

Laut Studien schränkt «Long Covid» Menschen stark ein. Es sind über 200 Symptome beschrieben, an welchen die Betroffenen leiden. Im Inselspital werden jährlich zwischen 500 und 800 «Long Covid» Sprechstunden im universitären Neurozentrum Bern durchgeführt. Bei den Patientinnen und Patienten zählt Fatigue, ein chronisches Erschöpfungssyndrom, zu den Symptomen, dass die Patienten am meisten beeinträchtigt.

Die Versorgung der «Long Covid»-Patientinnen und -Patienten im Inselspital erfolgt symptomorientiert. Dabei arbeitet ein interdisziplinäres Expertenteam aus verschiedenen Klinken eng mit Hausärztinnen und Hausärzten zusammen. «Auch psychische Begleiterkrankungen werden in unseren Sprechstunden berücksichtigt», teilt das Inselspital mit.

In der Selbsthilfegruppe in Thun fällt Beraterin Gabriela Kühni auf, dass die Betroffenen eine Wortfindungsstörung als gemeinsames Symptom aufweisen. Die Schlüsselsymptome sind aber das Hauptproblem. Diese schränken die Betroffenen im Alltag ein – die einen mehr, die anderen weniger.

«Eine Erholung von ‹Long Covid› ist schwierig»

Gerade die schwer betroffenen «Long Covid»-Patientinnen und -Patienten sind bettlägerig. Teilweise müssen sie über eine Sonde ernährt werden. Weniger stark Betroffene können im besten Fall noch 100 Prozent arbeiten. «Es gibt einige, die wieder Arbeitsversuche starten», sagt Gabriela Kühni, Beraterin im Selbsthilfezentrum Thun. «Aber wenn sie 20 bis 40 Prozent arbeiten können, ist das schon sehr viel».

«Eine Erholung von ‹Long Covid› ist schwierig», sagt Chantal Britt, Präsidentin der Patientenorganisation «Long Covid» Schweiz. Weniger stark Erkrankte erholen sich teilweise noch, schwer Betroffene nur sehr selten. Circa 18 Prozent der Infizierten (bevor eine Impfung erhältlich war) leiden nach zwei Jahren immer noch an Symptomen. «Man kann sagen, dass nach einem Jahr mit Symptomen die grosse Mehrheit keine Verbesserungen aufzeigt», sagt Britt.

Laut Inselspital gäbe es «Long Covid»-Patientinnen und -Patienten, welche sich von der Krankheit erholen. Dennoch nimmt die Wahrscheinlichkeit auf eine Genesung vermutlich mit zunehmender Krankheitsdauer ab.

Die Patientinnen und Patienten aus der Selbsthilfegruppe in Thun beschäftigen vor allem die Tatsache, dass man nicht weiss, wie die Perspektiven aussehen. «Manchmal denkt man, es geht ein bisschen besser und den Monat danach fällt man wieder in ein Loch und geht einen Schritt zurück», sagt die zuständige Beraterin.

Anzahl Betroffener steigt

Die Anzahl von «Long Covid»-Patientinnen und -Patienten nimmt zu – weltweit wie auch in der Schweiz. 4277 Mitglieder hat die Hauptgruppe von «Long Covid Schweiz». Daneben gibt es eine französisch sprechende Gruppe sowie eine für Kinder. Es sind also mehr als 5000 Personen in den Online-Gruppen vernetzt.

Im Inselspital hingegen sei die Anzahl der Sprechstunden im Vergleich zu den zwei letzten Jahren stabil. Die Nachfrage sei konstant bis leicht abnehmend. Dennoch sei die Warteliste weiterhin lang.

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«Wir bieten in erster Linie Online-Gruppen an», sagt Chantal Britt, Präsidentin von «Long Covid Schweiz». Dies mit der Begründung, dass es für viele Betroffene nicht möglich ist, das Haus oder sogar das Bett verlassen zu können, weil sie zu krank sind. Es bilden sich immer mehr Selbsthilfegruppen, Treffs sowie Online-Austausch-Gruppen. «Es kommen jede Woche mehr Menschen in unsere Online-Gruppe», sagt Btitt. Die Nachfrage sei immer noch gross. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich auch heute noch Menschen mit dem Virus infizieren und an «Long Covid» erkranken.

veröffentlicht: 26. September 2024 06:25
aktualisiert: 26. September 2024 07:52
Quelle: BärnToday

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