Wie läuft eine therapeutische Sitzung mit LSD konkret ab?
Das ist jedes Mal unterschiedlich, beginnt aber immer mit einer klassischen Gesprächstherapie. Wenn ich das Gefühl habe, bei einem Patienten wäre LSD oder eine andere Substanz hilfreich, stelle ich einen Antrag beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Wird dieser bewilligt, beginnt die Vorbereitungsphase, in der man bespricht, was einen erwartet und wie der Trip genau ablaufen wird. Am Tag der Durchführung kommt die Patientin oder der Patient morgens zu mir in die Praxis, legt sich hier auf eine Matte und ich decke sie oder ihn zu. Dann nimmt die Person das LSD ein. Die psychoaktive Wirkung hält bis am Abend.
Was braucht es für eine Bewilligung?
Das BAG erteilt Bewilligungen nur für Patienten, bei denen andere Therapien nicht erfolgreich waren. Zudem braucht es eine therapeutische Vorstellung, warum und in welcher Form die Substanz der entsprechenden Person helfen kann.
So ein Trip kann bis zu zehn Stunden dauern. Welche Rolle nehmen Sie als Therapeut währenddessen ein?
Ich sehe mich wie eine Art Hebamme. Das heisst, ich begleite den Prozess, der aber unabhängig von mir im Patienten stattfindet. Ich bin permanent da, spiele Musik oder fange die Person auf, wenn sie in einen negativen Gedankenkreis gerät. Sehr oft ist es während der Sitzung aber auch einfach still. Am Nachmittag, wenn die Substanz langsam abklingt, kommt es eher zu Gesprächen. Bevor der Patient abends nach Hause geht, essen wir häufig noch eine Kleinigkeit. Das ist meistens gegen 18 Uhr. Wenn es dem Patienten schlecht geht, kann es aber schon auch mal länger gehen.
Das klingt anstrengend, auch für Sie.
Ja, das ist es. In einer normalen Sitzung habe ich nach 50 Minuten Pause, kann das Fenster öffnen und durchatmen. Das ist mit LSD nicht möglich. Abgesehen von Toilettenpausen gibt es keine Unterbrechungen. Anspruchsvoll finde ich auch, einzuschätzen, wo sich der Patient gerade befindet. Ich muss während des ganzen Trips sehr aufmerksam sein, auch in der Stille.
LSD kann ein starkes Verbundenheitsgefühl auslösen und zu einer sehr intimen Erfahrung werden. Wie setzen Sie da als Therapeut Grenzen?
Grenzen zu setzen ist nicht immer einfach, insbesondere im Vergleich zu einer klassischen Gesprächstherapie. Man kann sich als Therapeut viel weniger gut in seiner Rolle verstecken bei LSD.
Wie meinen Sie das?
Menschen auf LSD nehmen zwischenmenschliche Stimmungen viel stärker wahr. Sagt mir während des Trips ein Patient zum Beispiel, dass ich traurig aussehe oder fragt, wie es mir geht, dann muss ich ehrlich sein. Wenn man in einer solchen Situation zu defensiv ist, beginnt der Patient sich Sorgen zu machen oder an seiner Wahrnehmung zu zweifeln.
Und wie reagieren Sie dann?
Die Herausforderung ist, in einer solchen Situation über das eigene Befinden zu sprechen, ohne ins Detail zu gehen. Ich muss authentisch und nahbar sein, darf dabei aber meine therapeutische Rolle nicht verlieren.
Ein Element in der LSD-Therapie sind Berührungen zwischen Ihnen und Ihren Patientinnen und Patienten.
Da wir während des Trips wenig reden, ist körperlicher Kontakt wichtig. Ich musste als Therapeut lernen, mich auch auf einer nicht verbalen Ebene anzunähern und das in einem professionellen Setting. Das ist nicht immer einfach. Gerade, wenn ich als männlicher Therapeut eine Patientin therapiere, muss ich sehr darauf achten, dass sie sich wohlfühlt und keine sexualisierte Stimmung aufkommt.
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Wie verändert sich die therapeutische Beziehung nach einem Trip?
Sie wird auf jeden Fall intensiver. Die Patienten entwickeln oft eine dankbare, meistens stark positive Beziehung. Für den weiteren Therapieverlauf ist das nützlich, denn eine gute Beziehung ist das wichtigste Fundament für eine gute Therapie.
Birgt das aber nicht auch die Gefahr, in ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Patientin und Therapeut zu geraten?
Ja, diese Gefahr ist auf jeden Fall grösser mit Substanzen. Dem muss man sich als Therapeut bewusst sein. Die Bewilligungen vom BAG wirken dem Abhängigkeitsrisiko aber schon entgegen, weil sie begrenzt sind und nicht ewig laufen. Das kommuniziere ich ganz klar. Die Therapie hat einen Anfang und ein Ende. Beides ist wichtig.
Wie haben Sie sich als Therapeut durch LSD verändert?
LSD hat mich als Mensch geöffnet. Ich habe grundsätzlich eine grosse Sympathie für meine Mitmenschen und finde es spannend, einen Menschen ganzheitlich kennenzulernen. Viele Patienten und Patientinnen schätzen mich auch deshalb als Therapeut, weil ich unkompliziert und offen bin und mich nicht hinter dem Arztsein verstecke. Ich glaube, dass ich mehr Distanz zu meinen Patienten hätte ohne LSD.
Was kann eine LSD-Therapie, was in einer klassischen Gesprächssitzung nicht möglich ist?
Eine Therapie mit Substanzen geht mehr in die Tiefe und hilft den Patienten, schneller zu ihren Kernthemen zu gelangen. Gerade bei Krebspatienten, die unter Umständen nicht mehr viel Zeit zum Leben haben, hilft eine Therapie, die schnell Intensität und Tiefe gibt. Und: Es gibt in der Therapie immer wieder mystische oder spirituelle Erfahrungen, in denen die Menschen ein starkes Gefühl von Verbundenheit spüren – mit sich selbst, der Umwelt, der Natur. Eine Erfahrung, die in der klassischen Therapie kaum möglich ist. Die Menschen fühlen sich nach einer LSD-Therapie oft ganzheitlich. Zudem beschreiben viele, dass die klassische Therapie hauptsächlich im Kopf stattgefunden habe, wohingegen LSD auf einer ganz anderen, einer emotionalen Ebene wirkt.
Ich gehe davon aus, dass viele Ihrer Klientinnen und Klienten bei Ihnen in der Therapie zum ersten Mal Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Substanzen machen. Viele sprechen beim ersten Trip von einem lebensverändernden Ereignis. Inwieweit beeinflusst das die Therapie?
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass die erste Erfahrung so lebensverändernd sein muss. Ich sehe das ähnlich wie beim ersten Kuss. Der ist zwar wichtig und bleibt oft ein Leben lang in Erinnerung, prägt aber nicht unbedingt alle nächsten Küsse im Leben. Der erste Trip ist vielleicht dahingehend wichtig, weil der Unterschied von Noch-nie-LSD zu LSD sehr gross ist. Das kann schon sehr spektakulär und einschneidend sein. Wobei gerade die erste LSD-Erfahrung durchaus schwierig und überfordernd sein kann. Deswegen ist es mir wichtig, dass die Leute nicht nur eine, sondern mehrere LSD-Erfahrungen machen. So konzentriert sich nicht alles auf die erste Sitzung.
Was macht denn eine schwierige Erfahrung aus?
Das Schwierige für mich ist, eine solche Sitzung zu begleiten. Wenn jemand Angst hat oder feststeckt, muss ich eine Vertrauensbasis schaffen und den Patienten beruhigen, auch emotional. Wenn der Patient verzweifelt ist, spüre ich das auch. Da muss man dann gemeinsam durch. Das ist anspruchsvoll und kann auch für mich kräftezehrend sein.
Wie geht es dann weiter nach einer solchen LSD-Sitzung?
Der Patient macht sich nach dem Trip Gedanken, schreibt das Erlebte auf und bringt es zur Nachbesprechung in die nächste Sitzung. Das Ziel ist, das Erlebte in den Alltag zu integrieren.
Bislang ist LSD auf dem freien Markt verboten, im medizinischen Setting nur unter strikten Auflagen zugelassen. Gleichzeitig zeigen alle bislang durchgeführten Studien extrem positive Effekte. LSD ist eine Substanz, die nicht abhängig macht und es Menschen ermöglichen kann, einen neuen Zugang zu sich und den eigenen Gefühlen zu finden. Wovor hat man dennoch so grosse Angst?
Die grosse Angst hat eigentlich schon Ende der 60er Jahre angefangen. Damals hat die Substanz eine Art anti-bürgerliche Revolution ausgelöst. Die Hippie- und die Anti-Vietnamkrieg-Bewegungen wurden zu einem Symbol fürs Aussteigertum als Revolte gegen die bürgerliche Gesellschaft. Daraufhin hat diese bürgerliche Gesellschaft zurückgeschlagen und alle Substanzen gänzlich verboten. Nicht nur im freizeitlichen, sondern auch im wissenschaftlichen Bereich. Und dann ist 30 Jahre lang nichts passiert. Erst in den letzten zehn, 15 Jahren hat man wieder begonnen, diese Substanzen zu erforschen. Das Problem aber ist, dass viele der Forschungen aus den 50ern und 60ern nicht mehr den heutigen Standards entsprechen. LSD wird also wie ein neues Produkt gehandelt und muss eine ganze Reihe von Forschungen und Tests durchlaufen, bevor es als Medikament zugelassen wird. Das braucht Zeit.
Auch in der Selbstanwendung wird LSD immer beliebter. Kann ein privat durchgeführter Trip den gleichen Effekt erzielen wie im therapeutischen Setting?
Menschen, die LSD im Privaten nehmen, geht es nicht um Symptome und Krankheitsbekämpfung, sondern um Selbstverwirklichung. Sie streben vor allem das persönliche Wachstum und eine innere Reifung an, wollen ein besserer Mensch werden. Das finde ich grundsätzlich etwas Gutes. Trotzdem muss einem bewusst sein, dass das sehr potente Substanzen sind, die man nicht unterschätzen sollte.
Was kann denn passieren?
Menschen mit einer Schizophrenie oder auch sehr junge Menschen, die noch in der Entwicklung sind, sollten die Finger von LSD lassen. Die Gefahr, eine Psychose zu entwickeln, ist gross. Man braucht zuerst ein Ich, bevor man das Ich auflösen kann.
Noch ist LSD eine verbotene Substanz, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstösst. Und dennoch scheint sich derzeit sowohl gesellschaftlich als auch im medizinischen Bereich einiges zu tun. Heute feiert LSD seinen 80. Geburtstag. Wo werden wir stehen, wenn LSD 100 wird?
Ich denke, zum 100. Geburtstag wird LSD wieder ein registriertes Medikament sein, wie es das in den 60er Jahren schon mal war. Wahrscheinlich wird das schon in den nächsten fünf bis sieben Jahren der Fall sein. Dann wird man auch viel einfacher einen Therapieplatz finden, in dem man mit LSD therapiert werden kann. Ich bin da sehr optimistisch.