Schweiz

Steuern statt Kopfprämien: Es ist Zeit für einen Systemwechsel

Kommentar

Steuern statt Kopfprämien: Es ist Zeit für einen Systemwechsel

· Online seit 09.06.2024, 17:06 Uhr
Das Stimmvolk will weder die Prämien deckeln noch das Wachstum der Gesundheitskosten bremsen. Es nimmt in Kauf, dass die Prämienlast für immer mehr Menschen untragbar wird.
Peter Blunschi / watson
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Das Wunder hat sich nicht wiederholt. Drei Monate nach dem überraschend deutlichen Ja zur 13. AHV-Rente wurde die Prämienentlastungs-Initiative der SP klar abgelehnt. Es ist eine Rückkehr zur Normalität in der Sozialpolitik. Linke Volksinitiativen starten gut, werden am Ende aber höchstens von Romands, Tessinern und Baslern angenommen.

Noch schlechter erging es der Kostenbremse der Mitte-Partei. Es ist eine Wiederkehr der Managed-Care-Vorlage von 2012: Ein drohender Leistungsabbau im Gesundheitswesen führt reflexartig zur Ablehnung. Die Initiative enthielt keine konkreten Forderungen und war gerade dadurch anfällig für die Angstkampagne jener Kreise, die vom System profitieren.

Gesundheitspolitik ist eine komplexe Materie, während eine AHV-Zusatzrente für alle verständlich ist. Dies trug zur Ablehnung der Prämienentlastung bei. In erster Linie aber scheiterte sie daran, dass nur ein Teil der Bevölkerung vom 10-Prozent-Deckel profitiert hätte. Seine Finanzierung, mutmasslich durch höhere Steuern, aber hätte alle betroffen.

Fragwürdiger Nebeneffekt

Das persönliche Portemonnaie hat einmal mehr gesiegt. Auch das kennt man von früheren Abstimmungen über linke Sozial-Initiativen. Man kann dieses egoistische Verhalten bedauern, doch ein Ja zur Prämienentlastung hätte einen fragwürdigen Nebeneffekt gehabt.

Die Linke hätte mit dem 10-Prozent-Deckel das System der Kopfprämien zementiert. Dabei ist es zunehmend absurd. Menschen mit hohen Einkommen können die Prämienlast (noch) verkraften, und Geringverdienende erhalten Verbilligungen. Dazwischen befinden sich jene Leute, denen die Prämien ein immer grösseres Loch ins Portemonnaie reissen.

Weiter Symptome bekämpfen?

Oft sind es junge Familien, die auch in anderen Bereichen mit hohen Ausgaben zu kämpfen haben, etwa bei Kitas oder Mieten. Hinzu kommt das von Experten erwartete jährliche Wachstum der Krankenkassenprämien von rund drei Prozent. Das Ergebnis ist ein Kaufkraftverlust, der nicht im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft sein kann.

Natürlich kann man die Subventionierung der Prämien immer stärker ausbauen. Der Gegenvorschlag zur 10-Prozent-Initiative sieht dies vor. Die SP will einen neuen Anlauf zur Einführung einer Einheitskasse nehmen. Sie erfreut sich in Umfragen einer wachsenden Akzeptanz und ist wie die Prämienentlastungs-Initiative doch nur Symptombekämpfung.

Systemwechsel wäre logisch

Der Politik jedoch fehlt die Kraft, um sich gegen Ärzteschaft und Pharmabranche und deren Lobbymacht zu behaupten. Und die Kantone tun sich schwer damit, die Spitallandschaft zu bereinigen. Ein Teil des Problems sind auch die Patienten. Sie klagen über immer teurere Prämien und verlangen dennoch oder gerade deshalb die bestmögliche Behandlung.

Als Rechtfertigung dient stets das unzweifelhaft hohe Niveau der medizinischen Versorgung in der Schweiz. Doch die (teilweise) Finanzierung durch Kopfprämien ist immer weniger tragbar. Was also ist zu tun? Schon heute wird das Gesundheitswesen durch Steuergelder mitfinanziert. Ein vollständiger Wechsel auf sein solches System wäre nur logisch.

Beigeschmack von Kapitulation

Auch andere Länder kennen ein rein steuerfinanziertes Gesundheitswesen. Mit einem Selbstbehalt könnte man die Patienten in die Pflicht nehmen. Und die Politik hätte vielleicht Anreize, endlich sinnvolle Kostensenkungsmassnahmen zu beschliessen. Aber zweifellos hätte ein solcher Systemwechsel einen Beigeschmack von Kapitulation.

Ideal wäre eine solche Lösung nicht. Aber wenn weiter «Pflästerlipolitik» betrieben wird und die Stimmberechtigten finanzielle Eigeninteressen höher gewichten als die Prämienlast jener Leute, die ohnehin nicht auf Rosen gebettet sind, geht es vielleicht nicht anders.

veröffentlicht: 9. Juni 2024 17:06
aktualisiert: 9. Juni 2024 17:06
Quelle: watson

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