Der kurze Blick zurück: Im August 2022 wird Mathias Flückiger von den helvetischen Dopingjägern (Swiss Sports Integrity) provisorisch gesperrt. Der Bann wird per Ende Jahr provisorisch wieder aufgehoben. Aber den Abschluss hat die ganze Geschichte soeben erst nach zwei Jahren durch die Bestätigung des Freispruchs durch die WADA (World Anti-Doping Agency) gefunden.
Freispruch erster Klasse durch die WADA
Die WADA ist eine internationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Montreal, die weltweit Massnahmen gegen Doping im Leistungssport organisiert. Somit ist klar, dass der Freispruch nicht etwa durch Mauscheleien auf nationaler, interner Ebene erfolgte. Sondern absolut rechtens ist. Ein Freispruch erster Klasse also.
Diese ganze Geschichte hat mehrere Aspekte. Da ist einmal die «Hexenjagd». Der Kampf gegen die Einnahme von unerlaubten leistungsfördernden Mitteln ist bei Lichte besehen beinahe (aber nicht ganz) ein Kampf gegen Windmühlen. Allein schon deshalb, weil Dopingtests zwischen den Wettkämpfen unter völlig verschiedenen Voraussetzungen gemacht werden.
Es gibt Staaten, die offensichtlich Doping tolerieren und Proben zwischen Wettkämpfen durch neutrale Kontrolleure unmöglich sind: Erstens wird schon beim Einreisevisum klar, dass die Kontrolleure anrücken, und zweitens ist in den Weiten eines Landes wie beispielsweise China eine unangemeldete Probe nicht möglich.
So gesehen sind unsere Sportlerinnen und Sportler in unserem kleinen Land wahrscheinlich die am stärksten kontrollierten der Welt. Das ist zwar juristisch stossend, muss aber kein Nachteil sein: Das Wissen um strenge Kontrollen fördert die Dynamik der legalen Sportwissenschaft. Die Schweiz ist eine der erfolgreichsten Sportnationen der Welt.
Kampf gegen Doping kann zur Hexenjagd werden
Der so schwierige Kampf der Dopingjäger kann Formen einer Hexenjagd annehmen. «Blattschüsse» wie etwa jene von Ben Johnson (Olympiasieger über 100 Meter 1988), Johann Mühlegg (dreifacher Olympiasieger 2022) – beide mussten nach Dopingtest noch während der Spiele ihre Medaillen deponieren – oder Rad-Weltmeister Oscar Camenzind (im Juli 2004 vor den Spielen in Athen bei einer Trainingsprobe erwischt), Lance Armstrong (alle sieben Siege der Tour de France aberkannt) oder Marco Pantani (1999 als Leader des Giros wegen fraglichen Blutwerten disqualifiziert) sind die Ausnahme. Nicht die Regel.
Die schwarze Magie der Sportwissenschaft ist der weissen Magie offensichtlich überlegen. Die Jagd nach Dopingsünderinnen und Sündern ist eine frustrierende. Kommt dazu, dass Sünderinnen und Sünder selbst die absurdesten Ausreden vorbringen und die besten Anwaltskanzleien in Marsch gesetzt werden. Eigentlich logisch und verständlich, dass die oft frustrierten Dopingjäger mit ausserordentlich viel Fleiss, Hartnäckigkeit und Ehrgeiz zu Werke gehen. Dabei können im Eifer Sorgfalt und kühler Verstand auf der Strecke bleiben («Hexenjagd»). Womit wir beim Fall Flückiger angekommen sind.
Dopingjäger haben riesige Verantwortung
Bei allem Eifer: Doping-Jäger und Doping-Richter haben sich strikte an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Das Resultat ihrer Arbeit kann nicht nur Spiele entscheiden (wie ein Fehlentscheid eines Schiedsrichters), sondern Karrieren und Leben ruinieren, ja zerstören. Dopingvorwürfe dürfen nie leichtfertig erhoben werden. Vor allem aber: Das Vorgehen muss schon im Sinne der Rechtssicherheit genau den Reglementen entsprechen. Sich nicht an die eigenen Reglemente zu halten und schludrig und dilettantisch zu arbeiten, ist der absolut schlimmste Vorwurf an eine Dopingbehörde. Womit wir schon wieder beim Fall Flückiger sind. Und damit beim Skandal.
Der Fall Flückiger wirft bereits aus sportwissenschaftlicher Sicht Fragen auf, die wir hier nicht zu erörtern brauchen. Viel schlimmer und entscheidend: Swiss Sports Integrity muss sich den Vater und die Mutter aller Vorwürfe gefallen lassen: Sie hat im Fall Flückiger so schludrig und dilettantisch gearbeitet, dass sie Mathias Flückiger nicht nur kleinlaut wegen administrativen Fehlern freisprechen musste. Noch viel gravierender. Die WADA, sonst nicht zimperlich, hat diesen Freispruch akzeptiert. Wir haben es damit amtlich, dass Swiss Sports Integrity schludrig und dilettantisch gearbeitet hat. Die erhobene Probe war gar nicht verwertbar.
Nun ist die Zeit gekommen, die Rechnungen zu präsentieren. Erstens: Selbst ohne dass Mathias Flückiger erneut Anwälte in Marsch setzt, müsste Swiss Sports Integrity ihm freiwillig alle Kosten anstandslos zurückerstatten, die ihm durch die von höchster Stelle bestätigten Fehler entstanden sind. Eigentlich wäre Swiss Sports Integrity auch schadenersatzpflichtig. Doch die Bezifferung des tatsächlichen Einnahmeausfalles durch die temporäre rechtswidrige Sperre ist aufwändig und eine Schadensersatzforderung rechtlich schwierig und nur in einem langwierigen, belastenden Verfahren durchsetzbar.
Personelle Konsequenzen zwingend
Aber es ist einfach, die tatsächlich entstandenen und vom Athleten bezahlten und somit schwarz auf weiss belegten Aufwendungen zu beziffern. Zweitens: Der Fall Flückiger müsste eigentlich zwingend personelle Konsequenzen bei Swiss Sports Integrity haben. Passiert das nicht, ist die Glaubwürdigkeit der helvetischen Dopingjäger in den Grundfesten erschüttert. Erst recht, weil Mathias Flückiger kein Sportmillionär ist und die Dopingjäger davon ausgehen konnten, dass er nicht die Mittel haben würde, um sich richtig zur Wehr zu setzen. Es ist nicht boshaft zu denken, dass bei Namen mit der Strahlkraft eines Marco Odermatt, Simon Ehammer oder Beat Feuz eine derartig schludrige und dilettantische Vorgehensweise wie im Fall Flückiger völlig undenkbar wäre.
Swiss Sports Integrity hat nicht mit dem unbeugsamen Willen des Oberaargauers gerechnet und sich gründlich verrechnet. Mathias Flückiger ist der tapfere Held in der Geschichte unseres grössten Sportskandals.
(Klaus Zaugg)
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