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Adele lässt ihre Fans nach München reisen: Drohen in Europa bald Zustände wie in den USA?

10 Konzerte geplant

Adele lässt ihre Fans nach München reisen: Drohen in Europa bald Zustände wie in den USA?

· Online seit 02.08.2024, 19:22 Uhr
Rund 750'000 Menschen werden im August Adele in München sehen. Das erste Konzert findet am 2. August statt. Die Stadt rechnet mit einer Wertschöpfung von über einer halben Milliarde Franken: Es gibt denkwürdige Entwicklungen in der Musikbranche.
Michael Graber / ch media
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Fliessen die Tränen mal so richtig, so verliert der Mensch knapp 70 Milliliter Wasser. Sollten jetzt zufälligerweise alle Tränen eingefangen werden, die an den zehn Adele-Konzerten im August in München mutmasslich vergossen werden, so kämen die Tränensammler auf die stolze Menge von 51'800 Litern. Damit könnte dann wiederum ein Pool von 8 Meter Länge, 4 Meter Breite und einer Wassertiefe von 1,5 Metern gefüllt werden. Einem Kopfsprung ins Tränenmeer stünde nichts im Weg.

Rund 740'000 Menschen werden an den Konzerten der Britin sein. Das Stadion wird extra gebaut. Es sind die einzigen Konzerte in Europa. Wer Adele unbedingt sehen will, der oder – fast wahrscheinlicher – die muss nach München. Warum zur Hölle München? Adele schreibt dazu:

Was sie damit meint: München könnte überall sein. Wären die zehn einzigen Adele-Konzerte in Europa in London: Sie wären ausverkauft. Wären sie in Paris: Es hätte keine Tickets mehr. Selbst wenn es irgendwo im unteren Fricktal stattfinden würde: Sold out. Adele kann das. Sie. Und Taylor Swift. Und Coldplay. Und wohl auch ein paar andere. Der Markt für Grosskonzerte tendiert längst zu einer Eventisierung. Da jetten Fans locker ein paar Hundert Kilometer für den Lieblingsact. Bitz Powershopping und dann zurück.

Jemand muss reisen

Das wirkt auf den ersten Blick nicht sonderlich nachhaltig und hedonistisch. Fakt ist aber auch: Wollen wir auch künftig Grosskonzerte erleben, muss jemand reisen. Entweder die Zuschauer oder die Künstlerinnen und Künstler. So einfach wie es scheint, ist die Rechnung nicht.

Touren Weltstars quer durch den Kontinent, so ist das ein logistisches Puzzle. Schwierigkeitsgrad: sehr hoch. Bei Swift waren beispielsweise rund 70 Lastwagen im Einsatz. Oft werden die gigantischen Bühnen sogar zweifach angefertigt. Eine ist jeweils im Einsatz, die andere wird irgendwo ab- beziehungsweise aufgebaut. All die Künstlerinnen, Sänger und ihre ganze Entourage sind da noch nicht verschoben. Ein einziger Standort hat auch weitere Vorteile: So muss nicht an jedem Veranstaltungsort ein eigenes Verkehrs- und Abfallkonzept erstellt werden.

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Und es ist ja nicht so, dass zu den Konzerten in Zürich nur Schweizerinnen und Schweizer kommen und in Stockholm nur Schwedinnen und Schweden. Alleine bei Taylor Swift dürften rund 10'000 der 100'000 Tickets an Fans aus Amerika gegangen sein. Spoiler: Mit dem Zug sind die nicht angereist. All die Italiener, Portugiesinnen und Dänen, die ebenfalls da waren, sind da noch gar nicht eingerechnet.

«Ein bisschen zufällig»

In Amerika gibt es schon länger einen Trend zur Zentralisierung der Konzerte. So treten gewisse Stars monatelang in Las Vegas auf. Nicht der Künstler kommt zu den Fans, die Fans kommen zu der Künstlerin. Jüngstes Beispiel in der Bling-Bling-Stadt: Adele.

Für die Städte, die «a bit random» ausgewählt werden, bedeuten solche Veranstaltungen saftige Geldsegen. In München rechnen die Verantwortlichen mit einer Wertschöpfung von 560 Millionen Euro während der Konzerte. Es profitiert die Hotellerie, die Gastronomie, der öffentliche Verkehr, die Shopping-Meilen, das Messegelände. Es ist, so wollen es die Organisatoren vermitteln, ein komplettes Win-win-win.

Das ist Quatsch. Es ist vor allem ein Zeichen, dass die grossen Player im Konzertbusiness lieber alle Zügel selbst in der Hand halten. Bei Stadiontouren arbeiten sie oft mit nationalen Firmen zusammen, die das mühsame Rundherum organisieren und dafür etwa an den Getränkeverkäufen partizipieren.

Den Zitronensaft nicht teilen

Und wenn die Veranstalter ganz ehrlich sind: An regionalen Wertschöpfungsketten haben globale Wertschöpfungsketten eigentlich nie wirklich ein Interesse. Könnten sie, so würden sie auch gleich die Hotels selbst betreiben. Bereits fest in der Hand der Grossveranstalter sind etwa die Tickethändler. Im Musikbereich heisst es schon länger: Die Zitrone ist ausgepresst. Und da offensichtlich nicht mehr Zitronen wachsen, versuchen die Big Players die Anzahl jener zu verringern, die vom wenigen Saft leben müssen.

Auch darum ist es nicht unwahrscheinlich, dass die ganz grossen Stars künftig auch in Europa vermehrt zentral auftreten werden. Ob das ein Grund zum Traurigsein ist, sei jetzt einfach mal dahingestellt. Wer weinen will, hört sowieso am einfachsten die Schmachtfetzen von Adele.

(aargauerzeitung.ch)

veröffentlicht: 2. August 2024 19:22
aktualisiert: 2. August 2024 19:22
Quelle: aargauerzeitung.ch

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